Station 2: Sigismundstraße 19 – Die Synagoge brennt

Bericht von Fritz Ottenheimer, damals 13 Jahre alt

Am Morgen des 10. November 1938 wurde ich durch den Lärm einer Explosion geweckt. Was konnte in unserer friedlichen Nachbarschaft explodiert sein? Es musste die Tankstelle gleich auf der anderen Straßenseite gewesen sein! Ich sprang aus dem Bett und rannte zum Fenster: An der Tankstelle sah alles normal aus, aber ich konnte einen flackernden roten Schein am Himmel sehen. Da musste ein großes Feuer hinter uns sein! Nun rannte ich ins Treppenhaus, schaute aus dem Fenster in den Garten und starrte schockiert auf das, was ich sah: Wo unsere schöne Synagoge stand, war jetzt ein Flammenmeer! Ich rannte zurück in unser Zimmer und zog mich an, nachdem ich meinen Eltern und meiner Großmutter die schreckliche Neuigkeit berichtet hatte. Mein Vater befahl mir jedoch, im Hause zu bleiben; statt meiner ging Frau H. nach draußen, um sich zu erkundigen und erstattete uns sofort Bericht: Ja, die Synagoge war gesprengt worden! Aber es gab noch mehr erschreckende Nachrichten. Am frühen Morgen waren alle jüdischen Männer von der Gestapo verhaftet worden, alle außer meinem Vater! Spielte die Welt verrückt? Warum wurde mein Vater nicht abgeholt? Vielleicht suchten sie an der alten Adresse nach ihm, oder vielleicht wurde er als Kriegsteilnehmer geschont? Wir warteten in unserem Zimmer und beteten.

Nach dem Mittagessen beschloss mein Vater, sich zu rasieren. Plötzlich hörte man ein lautes Klopfen an der Tür. Zwei Gestapo-Männer waren gekommen, um meinen Vater festzunehmen. „Kann ich mich zuerst fertig rasieren?'', fragte er. - „Nein, wisch' dein Gesicht ab und beweg' dich!" Dann gingen die beiden mit unserem Vater davon.

Aus: Fritz Ottenheimer, 1996. Wie hat das geschehen können. Von Konstanz in die USA durch den Krieg und zurück. Jüdische Schicksale 1925–1996. Konstanz: Hartung-Gorre. Hg. von E. R. Wiehn, S. 41